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2. August 2021

Vom Corona-Turbo ist vielfach im Kontext der Digitalisierung die Rede. Handel, Industrie, Bildung, Gesundheitswesen etc. – in allen Bereichen hat sich in Deutschland Nachholbedarf gezeigt. Und doch bleibt die Digitalisierung nicht die einzige zu meisternde Herausforderung, die pandemiebedingt einen Schub erfahren hat. Gleiches gilt für das Thema Nachhaltigkeit, welches für viele Unternehmen aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität noch schlechter fassbar ist, und das nur selten im Zusammenhang mit dem eigenen Geschäftsmodell gesehen wird. Für ein Teilgebiet soll nun mit dem Lieferkettengesetz ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden. Der folgende Beitrag zeigt am Beispiel des Handels den Status quo beim Thema Nachhaltigkeit, die Sicht auf das Lieferkettengesetz und Best Practices.

Wie nachhaltig ist der Handel?

Neben der Digitalisierung befeuert auch das Thema Nachhaltigkeit (neue) Kundenbedürfnisse, welche den Handel radikal beeinflussen. Über ein Drittel der Internetnutzer:innen kauft bereits bewusst weniger und übt sich damit im Konsumverzicht. Die Second-Hand-Umsätze steigen rasant: Wie der HDE Online-Monitor Newsletter von Mai 2021 zeigt, wurden allein in den Bereichen Bücher, Fashion und Elektro 4,5 Milliarden Euro online mit Second-Hand-Ware umgesetzt. Zudem essen nur noch 45 Prozent der Menschen in Deutschland uneingeschränkt bzw. viel Fleisch und tierische Produkte. Am wachsenden Anteil an Bioprodukten ist die Entwicklung ebenso abzulesen: Lag der Anteil von Bio am Umsatz mit Lebensmitteln/Getränken 2020 bei 7,5 Prozent wird er bis 2025 auf knapp 10 Prozent ansteigen.

Und wie reagieren Unternehmen auf diese Entwicklungen? Das Bild ist branchenspezifisch sehr divers. So zeichnet sich die Vorreiterbranche Lebensmittel beispielsweise durch unterschiedlichste Ansätze in der Breite aus – nicht zuletzt auch aufgrund ihrer Historie und der Ökobewegung der 80er Jahre. Trotz ihrer Vorreiterrolle hat aber auch die Lebensmittelbranche die Tiefe des Themas noch nicht ganzheitlich durchdrungen. Hinzu kommt die große Spannweite zwischen den Unternehmen, die in Sachen Nachhaltigkeit bereits gut wahrgenommen werden und denen, die noch Nachholbedarf haben. Nachzüglerstatus generell hat die Fashionbranche: Erst wenige Nachhaltigkeitsansätze existieren in der Breite und nicht zuletzt die Produktionsbedingungen machen sie zur „schmutzigsten“ Industrie in Puncto Nachhaltigkeit. Gleichwohl auch unter den Unternehmen der Fashionbranche eine große Streuung zu beobachten ist, wie die Studie des IFH KÖLN „Nachhaltigkeit in der amazonisierten Welt“ zeigt.

Unterschiede zeigen sich auch beim Blick auf die Unternehmensform. So gibt es beispielsweise eine ganze Reihe an Familienunternehmen, die sich schon früh ihrer Verantwortung bewusst geworden sind und ihr Unternehmen konsequent nachhaltig ausgerichtet haben. Das wohl bekannteste Beispiel ist Vaude. Gleiches gilt für viele Start-ups, die soziale Verantwortung als Grundprinzip definiert haben. Von Fairness in der Lieferkette, über umweltbewusste und CO2-arme Produktion bis hin zu Aufklärung, Sensibilisierung und Spenden für Aufbauprojekte reichen die Aktivitäten. Beispielhaft seien an dieser Stelle Viva con agua, Jokolade und Einhorn genannt. Durch die im Vergleich zurückhaltenden Aktivitäten der Unternehmen einerseits und die steigende Aufmerksamkeit und das wachsende Bewusstsein der Kund:innen andererseits entsteht eine immer größere Diskrepanz.

Schlupflöcher sichern keinen langfristigen Unternehmenserfolg

Abhilfe soll nun ein wie auch immer geartetes Lieferkettengesetzt schaffen. Doch wie stehen die Chancen, dass das Gesetz die Branche wirklich nachhaltiger werden lässt, und was sind die Konsequenzen? Unternehmensseitig wird das Gesetz nicht positiv gesehen, schließlich ist es ein Eingriff in die unternehmerische Freiheit. Psychologisch lässt es sich ebenso wenig positiv bewerten, denn durch den einzuhaltenden gesetzlichen Rahmen wird die Verantwortung ein Stück weit ausgelagert. Es sind demnach auch nur so viele Anpassungen in der Lieferkette zu erwarten, wie es der gesetzliche Rahmen vorgibt. Die Pflicht wird erfüllt werden – zumindest von den Unternehmen, die von dem Gesetz betroffen sein werden.

So steht zurzeit in den Diskussionen und Austauschrunden zum Lieferkettengesetz unternehmensseitig nicht die Umsetzung der kommenden Gesetzesanforderungen im Vordergrund, sondern die Suche nach „Schlupflöchern“. Diese Gegenwehr kostet viel Energie und Ressourcen, die ausschließlich in die Wahrung des Status quo fließen, anstatt notwendige Anpassungen frühzeitig voranzubringen. Die Notwendigkeit wird nicht hinreichend gesehen, vielmehr steht die Angst vor dem Verlust der eigenen Position im globalen Wettbewerb im Fokus. Es braucht also das Gesetz.

Veränderungen im Unternehmen kosten Geld und unumstößlich ist der Preiskampf im Handel hart. Auch wenn es aus Konsumentensicht nicht mehr der dominierende Faktor für die Einkaufsstättenwahl und die letztendliche Kaufentscheidung ist, wirkt das Preis-Leistungsverhältnis als Hygienefaktor. Die sich aus Unternehmenssicht stellende Frage lautet daher, wie bei einer veränderten Wertschöpfungskette mit höherem finanziellem Aufwand weiterhin ein marktfähiger Preis zustande kommen kann. Diese Denkweise ist jedoch nicht nur aus Umwelt-, sondern auch aus Marktsicht zu kurz gegriffen.

Die Einstellungen der Konsument:innen sind ein wichtiger (Zukunfts-)Kompass: Für 16 Prozent der Konsument:innen sind Preis und Nachhaltigkeit kein Widerspruch mehr, sondern parallel existierende Anforderungen wie der HDE Konsummonitor Corona zeigt. Gibt es im Handel keine adäquaten Antworten darauf, wird Konsumverzicht die Folge sein. Nachhaltiges Handeln ist somit mehr als ein Trend und verlangt höchste Priorität. Statt sich gegen kommende Gesetze aufzulehnen, gilt es vielmehr, selbst aktiv zu werden und das Thema schrittweise anzupacken, um einen ganzheitlichen Wandel zu vollziehen.

Gute Nachrichten für die Umsetzung in der Praxis

Nochmal zum Thema Preis bzw. Kosten: Eine aktuelle HRI-Studie zeigt, dass die grundlegende Annahme, die nachhaltige Ausgestaltung der Lieferkette sei finanziell nur mit Mühe zu stemmen, nicht korrekt ist. Laut Studie kosten die erforderlichen Umstellungen maximal 0,6 Prozent der Umsätze, wenn Unternehmen ihre Lieferketten frei von Menschenrechtsverletzungen halten möchten. „Damit dürfte die Umsetzung selbst für kleine und mittlere Unternehmen darstellbar sein, auch wenn der Aufwand tendenziell mit der Betriebsgröße abnimmt“, zitiert das Handelsblatt die Studie. Und damit wird offensichtlich, was bei Veränderung und Innovation die größten Hürden sind: Die Ablehnung des Neuen, die den Blick auf die Chancen verwehrt. Doch es gibt auch die andere Seite: So rechnen die Unternehmen, die Pro-Lieferkettengesetz sind, laut Handelsblatt nämlich eindeutig mit steigender Nachfrage, einem größeren Preisspielraum durch eine höhere Reputation bei den Konsument:innen und weniger anfälligen Lieferketten.

Die richtige Einstellung ist also, anzupacken und loszulegen. Naturgemäß unterscheiden sich dabei die Voraussetzungen bei den Unternehmen: Zum einen ist der Ausgangspunkt in Sachen Nachhaltigkeit sehr unterschiedlich. Zum anderen ist die Komplexität direkt abhängig vom Vertikalisierungsgrad. Je stärker die Lieferkette selbst gemanagt wird, umso größer sind der Kenntnisstand und die Durchgriffsmöglichkeiten. Dies spiegelt sich auch in der Konsumentenwahrnehmung wider, die sowohl auf Branchen- als auch Unternehmensebene deutliche Unterschiede ausmacht.

Wie lösbar die Aufgabe ist, zeigen zahlreiche Best Practices. Was sie eint, sind die Schaffung von Transparenz und eine klare Priorisierung verschiedener Themengebiete zu Beginn. Aus dem Fashionbereich sind beispielsweise HessNatur und ArmedAngels zu nennen. Beide Marken haben von Anfang an Nachhaltigkeit als Kern ihres unternehmerischen Handelns definiert. FTC Cashmere, ein weiteres Vorzeigebeispiel, hat sich mit dem Generationenwechsel in der Unternehmensführung konsequent nachhaltig ausgerichtet. Die Bemühungen gehen sogar so weit, dass selbst das Futter für die Ziegen Bioqualität besitzen muss. Auch bei Vaude hat das Thema Nachhaltigkeit 2009 mit der Übernahme durch die Gründertochter Antje von Dewitz noch einmal eine verstärkte Bedeutung erhalten, sodass sie heute Vorbildcharakter besitzen.

Und noch eine gute Nachricht: Auf sich allein gestellt sind Unternehmen bei dem Unterfangen ihr Geschäftsmodell nachhaltiger auszugestalten nicht. Zahlreiche Dienstleister sind hierbei unterstützend tätig und durch Digitalisierung entstehen auch ganz neue Geschäftsmodelle. So wurde im vergangenen Jahr beispielsweise Planetly als Start-up für holistisches CO2-Management gegründet, was zwar nur einen indirekten Bezug zum Lieferkettengesetz besitzt, aber deutlich die Möglichkeiten und die wachsende Dynamik im Unternehmensumfeld aufzeigt.

Und nun? Weitsicht sichert Zukunftsfähigkeit

Zusammengefasst bedeutet das: Die Herausforderung für den Handel aktuell heißt nicht nur Digitalisierung, mit dem Thema Nachhaltigkeit steht die nächste komplexe Aufgabe vor der Tür. Unabhängig vom Lieferkettengesetzt ist ein neuer und konsequenter Angang des Themas gefragt – Bemühungen zum reinen Wahren des Status quo werden langfristig nicht zielführend sein. Weitsicht in Sachen Nachhaltigkeit sichert Zukunftsfähigkeit. Die Wirtschaft und damit die Unternehmen müssen aus Ressourcengründen auf eine Kreislaufwirtschaft hinarbeiten und konsequent umdenken. Traditionelles Wertschöpfungsdenken – die Fokussierung auf die eigene Gewinnspanne – muss von einer Fokussierung des Umfelds und der Ressourcen abgelöst werden.

Das Lieferkettengesetz ist somit nur der Anfang: Sowohl thematisch als auch zeitlich gesehen. Unternehmen müssen losgelöst von gesetzlichen Rahmenbedingungen Verantwortung übernehmen – nicht zuletzt, weil die Konsumenten und Konsumentinnen in nicht allzu ferner Zukunft ihre Konsumentscheidungen immer mehr auch nach nachhaltigen Kriterien ausrichten werden. Staatliche Eingriffe sind als Beschleuniger für notwendige Entwicklungen unumgänglich. Für Unternehmen heißt das: Angst ist ein schlechter Berater – vielmehr sind Mut und Macher-Geist gefragt. Erfolgreiche Beispiele gibt es genug.

Hinweis:

Dieser Beitrag ist zuerst Ende Juli  in der Fachzeitschrift „Verantwortung – Das Magazin für Nachhaltigkeit, CSR und innovatives Wachstum“ des F.A.Z.-Institut erschienen. Hier geht es zur aktuellen Ausgabe.

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