
Die digitale Transformation stellt insbesondere den Handel vor tiefgreifende Herausforderungen – und zugleich vor immense Chancen. Was Unternehmen beachten sollten und wie die Transformation gelingen kann, berichtet Oliver Lucas, Managing Partner bei unserem ECC CLUB Mitglied NFQ Solutions, im Interview.
Was verstehst du unter moderner Unternehmensentwicklung im digitalen Handel?
Es geht heute nicht mehr nur darum, Prozesse zu digitalisieren – sondern darum, digitale Geschäftsmodelle wirklich neu und konsequent zu denken. Das gelingt nur, wenn Business-Entscheidungen und technologische Entwicklungen Hand in Hand gehen. Moderne Handelsunternehmen müssen Technologie - und Künstliche Intelligenz - nicht als Werkzeug, sondern als elementaren Wachstumstreiber begreifen.
Was bedeutet in diesem Kontext „Digital Deep Technology“?
Wir sprechen hier von einem technologiegetriebenen Fundament, das tief in die Geschäftslogik eingreift: Data-driven Architectures, KI-unterstützte Entscheidungsprozesse, Cybersecurity, Cloud-native Skalierbarkeit – das sind keine Buzzwords, sondern essentielle Bestandteile moderner Handelsplattformen. Digital Deep Tech meint also nicht nur den Tech-Stack, sondern die Fähigkeit, Technologie strategisch für nachhaltige Wertschöpfung zu nutzen.
Viele Unternehmen kämpfen mit der Kluft zwischen Business und IT. Wie kann dieses Spannungsfeld aufgelöst werden?
Zunächst einmal gilt es, den Zusammenhang von Geschäftsmodell und Technologie klar zu verstehen und aktiv herzustellen. In der Praxis zeigt sich oft, dass strategische Ziele und technische Umsetzung getrennt voneinander gedacht und geplant werden – was Reibungsverluste erzeugt. Erfolgreiche Unternehmen setzen zunehmend auf interdisziplinäre Teams, in denen Strategie, Technologie und Produktentwicklung eng verzahnt zusammenarbeiten. Entscheidend ist ein gemeinsames Verständnis: Welche Geschäftsziele stehen im Fokus? Und welche technologischen Mittel sind geeignet, um diese effizient und nachhaltig zu erreichen? Diese Art der „Übersetzungsarbeit“ – also Business und IT in einer gemeinsamen Sprache zu denken – ist ein zentraler Erfolgsfaktor für die digitale Weiterentwicklung von Handels- und Markenunternehmen. Wir nennen dies auch den „holistischen Ansatz“, indem Business und IT gemeinsam gedacht werden.
Warum ist dieser holistische Ansatz gerade im Handel entscheidend?
Der Handel ist extrem dynamisch – getrieben von neuen Kundenerwartungen, Plattformökonomie und datengetriebenem Wettbewerb. Und die einzelnen Vertriebskanäle verschmelzen online und offline immer mehr und neue Kanäle mit neuen Mechaniken und Möglichkeiten entstehen - siehe z.B. die derzeitige Diskussion um Social und Discovery Commerce. Für Konsument:innen ist der kontinuierliche Kanalwechsel Normalität. Wer in diesem dynamischen Marktumfeld bestehen will, muss schneller iterieren, sauberer skalieren und besser verstehen, wie Technologie strategisch eingesetzt wird. Wir erleben noch zu viel Silodenken zwischen Funktionen, z.B. zwischen Vertrieb, Marketing und IT. Nur wenn Geschäftsführung und Tech-Teams eng verzahnt denken, entstehen Lösungen, Plattformen bzw. IT Architekturen, die wirklich resilient und zukunftsfähig sind.
Was rätst du Unternehmen, die gerade an der Schwelle zur digitalen Transformation stehen?
Beginnen Sie nicht bei der Technologie, sondern bei den Zielen. Fragen Sie sich: Was genau möchten wir verändern oder verbessern? Geht es um höhere Conversion-Rates, eine kürzere Time-to-Market, bessere Kundenerlebnisse oder eine anpassungsfähigere Organisation? Und dann ganz ehrlich: Wie gut sind wir heute dafür aufgestellt?
Der entscheidende Schritt ist, die eigene Ausgangslage realistisch einzuschätzen – fachlich, organisatorisch und technologisch. Daraus ergibt sich, was es wirklich braucht: Prozesse, Kompetenzen, Strukturen – und erst dann Tools. Für viele Herausforderungen gibt es mehrere Wege. Wichtig ist, dass Sie sich mit Partnern oder internen Teams umgeben, die nicht nur in Tools denken, sondern vor allem in Lösungsräumen, Zielen und Wirkzusammenhängen. Digitale Transformation ist kein Einzelprojekt, sondern ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess. Und der beginnt mit Klarheit über die Richtung – nicht mit der Entscheidung für ein Tool.