
Im Großhandel treffen komplexe Produkt- und Kundenstrukturen auf steigenden Wettbewerbsdruck und wachsende Datenmengen. KI-gestützte Vertriebslösungen bieten hier enorme Potenziale. Welche das sind und was Unternehmen beachten sollten, erklärt Pascal Salmen, Gründer und Geschäftsführer von unserem ECC CLUB Mitglied acto.
Warum ist gerade der Großhandel prädestiniert für den Einsatz KI-gestützter Vertriebslösungen?
Der Großhandel ist geprägt von komplexen Strukturen: Tausende Kund:innen, oft zehntausende Produkte, wiederkehrende und unterschiedliche Bestellzyklen, differenzierte Vertriebsmodelle. Die schiere Datenmenge macht es praktisch unmöglich, den Überblick zu behalten und auch wirklich datenorientiert zu verkaufen.
Und genau da kann Technologie ansetzen. KI und Machine Learning können eben weitaus mehr, als beim Texten von E-Mails zu helfen. Die modernen Technologien analysieren hunderte Datensätze, erkennen Muster im Kaufverhalten von Kund:innen, sagen es für ähnliche Kund:innen vorher und erkennen Umsatzpotenziale.
Warum ist KI hilfreicher als BI Tools & Dashboards?
Am Ende des Tages sind Berichte nur so viel Wert wie die Schlüsse, die man aus ihnen zieht. Oft werden neue Dashboards in aufwändigen Projekten über Monate gebaut - nur um dann doch wieder Staub zu fangen. Wenn der Nutzen eines Dashboards davon abhängt, ob vielbeschäftigte Vertriebsteams mehrere Wochenstunden in die Recherche investieren, dann ist das zu wenig.
Hinzu kommt, dass auch datengetriebene Vertriebler auf ihre Grenzen stoßen: Man weiß gar nicht genau, welche Info man benötigt, verbringt Stunden auf der Suche nach der Nadel im Heuhaufen - und findet sie dann doch nicht. Oft deutet sich Abwanderungsverhalten beispielsweise erst in einzelnen Produktgruppen an und im Alltag geht sowas einfach unter. KI kann solche Datenberge systematisch analysieren und dann proaktiv auf Chancen und Risiken hinweisen.
Konkret heißt das: Statt passiv zu bleiben, liefert KI proaktiv die besten Insights direkt an den Vertrieb. Diese nächste Evolutionsstufe der Business Intelligence ist dann Decision Intelligence, weil sie Daten als Entscheidungsgrundlage sieht, statt als Selbstzweck.
Was bedeutet das konkret für Außendienst und Innendienst?
Für den Außendienst bedeutet das in erster Linie eine bessere Priorisierung der Kundenbesuche: Wo werde ich wirklich gebraucht, was könnte ich sinnvoll anbieten? Der Innendienst profitiert von automatisierten Vorschlägen für Angebotsinhalte, Margenoptimierung oder Cross-Selling.
Beide Teams werden dadurch entlastet, arbeiten synchron und können schneller und fundierter auf Entwicklungen reagieren. Es ist, als hätte jedes Teammitglied einen eigenen Vertriebscontroller, der ihm täglich die vielversprechendsten Potenziale aufzeigt, um seine Arbeit zu priorisieren. Das Ergebnis ist deutlich mehr Umsatz bei weniger (Daten-)Arbeit.
Welche Voraussetzungen müssen Unternehmen schaffen, um KI erfolgreich im Vertriebsprozess zu verankern?
Entscheidend ist, dass KI nicht als isoliertes System verstanden wird, sondern als integraler Bestandteil bestehender Workflows. Das gelingt nur, wenn Daten zugänglich, Systeme integriert und Nutzer:innen entlastet statt überfordert werden. Der größte Hebel liegt in der Reduktion von Komplexität - durch klare Anwendungsfälle und schlanke Interfaces. Dabei gilt es, Nutzer:innen nicht mit unzähligen Tools zu überwältigen, sondern KI direkt in die bestehenden Tools wie Outlook, CRM oder ERP zu integrieren.
Außerdem ist es wichtig, ein Bewusstsein für die Fähigkeiten von KI zu schaffen. Viele Vertriebler:innen kennen Chat GPT und Co., um ihnen beim Texten von E-Mails zu helfen - und da ist es auch super hilfreich. Allerdings kann KI eben weit mehr.
Für die erfolgreiche Implementierung muss man die Menschen abholen und ihnen zeigen, wie ihre Arbeit entlastet wird bzw. welche Potenziale es im Vertriebsfall ja auch für die eigene Provision bringt.
Unternehmen, die jetzt starten, müssen auch nicht gleich alles transformieren - es reicht, dort anzusetzen, wo der manuelle Aufwand am größten und der Nutzen am unmittelbarsten ist.
Wohin geht die Entwicklung – was ist der nächste Schritt in der Evolution KI-gestützter Vertriebslösungen?
Die Power von KI ist abhängig vom Kontext, den sie hat. Wenn ich ein Tool frage, was ich heute essen soll, ist die Antwort erst einmal generisch. Je mehr Informationen das Modell allerdings über meinen Ernährungsplan, Intoleranzen, Zeitaufwand etc. hat, desto besser ist die Antwort. Im Unternehmenskontext kommt hinzu, dass Branchen sich stark unterscheiden. Der Vertriebsalltag im Bürobedarfsgroßhandel hat mit dem im Softwarebereich nicht viel gemein.
Deswegen geht der Trend immer mehr in Richtung branchenspezifischer Lösungen, die möglichst genau auf Geschäftsmodelle, Bestell- und Kundenverhalten zugeschnitten sind, sowie möglichst viel Kontext aus der existierenden Tool-Landschaft verwerten können.
KI-Systeme werden außerdem zunehmend zu aktiven Agenten, die automatisiert repetitive und unterstützende Aufgaben übernehmen. Auch hier ist das richtige Training durch den Vertrieb essenziell. Der Mensch bleibt dabei zentral - aber wird durch Systeme unterstützt, die Kontext liefern, Muster erkennen und operative Prozesse erleichtern. Das Ziel ist nicht Automatisierung um der Automatisierung willen, sondern eine intelligentere und fokussierte Vertriebsarbeit.